Donnerstag, 29. September 2016

Schön gemacht

Angesichts der Nachrichtenlage könnte man zipfelsinnig werden. AfD, CSU, Trump oder Clinton, Aleppo - man könnte verzweifeln an der Welt. Doch bevor ich endgültig in Trübsinn verfalle, gehe ich zum Friseur. Kaum, dass sich hinter mir die Türe schließt habe ich das Gefühl, ich bin Teil einer Sitcom, und das Lachen kommt nicht vom Band sondern von Silvia, Lena und den Kundinnen. Hey Welt, du kannst mich mal.

Sie solle mich schön machen, meinte ich zu Lena und ich deutete ihren Gesichtsausdruck nicht als skeptisch, sondern als überzeugt, sich dieser Herausforderung gewachsen zu fühlen. Allerdings meinte Silvia daraufhin, Peter würde jetzt fragen, ob ich so lange Zeit hätte. Ha ha.

Natürlich ist so ein Friseurbesuch auch immer eine gute Gelegenheit, sich in den bunten Blättern über die vermeintlich Reichen und Schönen zu informieren. Also ran an die "Bunte". Schon nach der ersten Seite fragte ich mich, wer um Himmels willen sich diese Druckerzeugnisse eigentlich kauft. Gibt es dafür tatsächlich ein Publikum? Ich hatte die "Bunte" relativ schnell durch, da ich die meisten der sogenannten Promis gar nicht kenne. Und die Story über Brad Pitt und Angelina Jolie hatte sich überholt. Tja, so schnell kann's gehen.

Weiter ging es mit der "Freundin". Cool, Trendfrisuren für den Herbst. Leider zu spät entdeckt. Ich war ja schon mit Alufolie und Farbpampe versorgt. Außerdem sahen die Frisurenmodels nicht unbedingt aus, als ob sie Spaß am Leben hätten. Ihr Gesichtsausdruck war eher genervt-gelangweilt. Aber vielleicht gehört das ja zum Trend. Ich übe schon mal. 

Derweil lag Silvia bei meiner Nachbarin in den letzten Zügen. Natürlich hatten sie's vom Wetter, tagsüber super, aber am Abend wird es dann doch kühl. Im Stehen ginge es ja noch, aber wenn man sich hinsetzt merke man, wie es von unten her anzieht, meinte die Silvia. Ich meinte daraufhin, dass es bei ihr ja keinen großen Unterschied macht, ob sie steht oder sitzt. Sie ist ja tiefergelegt, sozusagen. Offensichtlich hat sie mit 10 Jahren beschlossen, nicht mehr zu wachsen.

Wie sie da so redet übers Wetter - zack - wieder mitten im Satz: "Man merkt halt schon, dass Herbst, ich hab vorne etwas mehr weg genommen."  In einem Herrensalon könnte Silvia das nicht bringen. Männer können nicht so gut parallel denken.

Dann durfte ich am Waschbecken Platz nehmen. Die Farbpampe musste ja wieder ausgewaschen werden. Die nette Auszubildende hat sich meiner hingebungsvoll angenommen. Mit Sicherheit hat sie mir die Pflegemittel bis zur Hirnrinde einmassiert. 

Kurz darauf kamen zwei Damen, und ich weiß immer noch nicht, warum sie zum Friseur gingen. Die Spitzen bitte, aber nur die Spitzen, vielleicht einen Hauch von Spitzen, bitte. Aber nicht mehr. Was Silvia und Lena abschneiden durften, konnte man letztlich nur unterm Elektronenmikroskop erkennen. Aber vielleicht kamen sie ja auch nur wegen der tollen Atmosphäre.

Offensichtlich kann man bei Silvia auch ein Do-it-yourself-Paket buchen. Ist ja auch angesagt im Moment. Wer möchte kann sich also Schaumfestiger ins Haar schmieren und sich anschließend föhnen. Eigentlich könnte sie ja Spitzen schneiden noch ins Angebot aufnehmen. Muss ich mal vorschlagen.

Bei Silvia kann man sich aber nicht nur die Haare schneiden lassen. Man kann auch Uhren, Schmuck oder Tücher kaufen. Wie früher halt. Da hat der Barbier auch noch Zähne gezogen. Und wer weiß, was sich im Hinterzimmer abspielt.

Natürlich hat mich Lena schön gemacht. Ist zu Hause nur mal wieder keinem aufgefallen. Nur Mäc meinte, dass ich die neue Frisur sowieso nicht selbst hinkriege. Lächerlich.


Sonntag, 18. September 2016

Geschichtsstunden

Seit etwa einem halben Jahr schreibe ich für die Stadtzeitung. Das ist jetzt nichts weltbewegendes und den Pulitzerpreis gibt es eher nicht dafür. Dafür schreibe ich beispielsweise über 90. Geburtstage und Diamantene Hochzeiten. Für die Jubilare gibt es Blumen und Urkunden und einen Besuch des Bürgermeisters oder eines seiner Stellvertreter. Die beiden letzten Male war das Eugen Sänger. Manchmal werden diese Termine recht kurzfristig kommuniziert, aber für uns Nur-Hausfrauen ist das eigentlich kein Problem. Da sind wir ja so was von flexibel.

Ich genieße diese Termine. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn man wird jedes Mal aufs beste versorgt mit Schnittchen, Kuchen, Kaffee und Sekt. Pech für Mäc, denn sie muss dann auf ihr Mittagessen verzichten. Gespannt bin ich immer wieder aufs Neue, wohin mich die einzelnen Jubiläen führen. Manche Namen kenne ich vom Hören-Sagen, manche sind mir persönlich bekannt und von manchen erfahre ich, dass sie jemanden kennen, den ich kenne. Dann muss ich erklären, wo ich denn hingehöre (Lais - nein nicht aus Grißheim, Wehrle - Richtberg - ah ja, denn Philip hab ich gekannt. Krass). Mal sitzen wir im Wohnzimmer mit der Familie, mal versammelt sich alles was Beine hat in der Küche - ein Stuhl hat immer noch Platz wenn sich zur Nachbarschaft noch Vereinsvertreter gesellen.

Lustig geht es allemal zu. Wenn zum Beispiel ein Ehejubilar meint, statt einer Urkunde hätte er wohl eher eine Tapferkeitsmedaille verdient. Schreiben kann ich das leider nicht.

Wer auf 90 gelebte Jahre zurückblicken kann (und darf) der hat allerhand zu erzählen. Und unweigerlich kommt die Sprache auf den 2. Weltkrieg. Die Schrecken einer Zeit, in der man ihnen die Kindheit und Jugend gestohlen hat. Missbraucht für den Größenwahn. Das Trauma dieses Krieges hat diese Generation geprägt. Die Erinnerungen haben sich versteck. Verblasst sind sie nicht. Sie sind jederzeit wieder abrufbar. 

Sie erzählen von den Entbehrungen der Nachkriegszeit, dem Wiederaufbau und dem Versuch, die Schrecken hinter sich zu lassen. Was nicht immer gelungen ist. Es gab weder Unterstützung bei Posttraumatischer Belastungsstörung noch psychologische Betreuung für vergewaltigte Frauen und Mädchen. 

Ich schrumpfe innerlich auf stecknadelkopfgröße zusammen vor Demut. Meistens vergesse ich mitzuschreiben und wenn ich wieder zu Hause bin fällt mir auf, dass ich nicht mehr weiß, aus wie vielen Kindern, Enkel und Urenkeln denn jetzt die Familie genau besteht. Das steht ja sonst immer in den Artikeln über Jubilare. Aber eigentlich ist das nicht so wichtig, finde ich.

Noch leben diese Zeitzeugen und ich fände es schön, wenn Schulen die Chance ergreifen würden, die Geschichte dieser unsägliche Zeit nicht abstrakt zu vermitteln, sondern von Menschen, die dabei waren. Ich bin sicher, dass diese Methode der Wissensvermittlung wesentlich effektiver wäre. In diesen Tagen scheint es mir sowieso angeraten zu sein, die Folgen rechten Gedankengutes etwas deutlicher zu erklären.
Es soll mir ja keiner erzählen, diese Menschen seien zu alt und gebrechlich, um davon berichten zu können. Diese Zeit hat sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt, da ist nichts verloren gegangen. Und, wie gesagt, noch gibt es sie, die 90-jährigen mit beneidenswert guter geistiger und körperlichen Gesundheit.

Ich treffe nicht auf verbitterte Menschen. Im Gegenteil. Ich treffe auf heitere, gelassene Menschen, die mit sich und ihrer Vergangenheit Frieden geschlossen haben. Die trotzdem dankbar sind. 

Für mich sind diese Besuche ein Geschenk. Nicht nur wegen Schnittchen und Sekt.